Anna Saller | Universität Regensburg
Das Barossadeutsche in Australien steht kurz vor dem Sprachwandel und zeigt viele Phänomene der Spracherosion, darunter auch die Konstruktion tun + Infinitiv. Neben der Verwendung in Konditionalsätzen (1), im Konjunktiv (2) und zur Betonung (3) wird oft ein habitueller (4) oder generell imperfektiver Charakter für die tun-Periphrase diskutiert – oder sie wird als semantisch leere, syntaktische Variante betrachtet.
1. wenn du sie nicht sprechen tust, vergisst du sie
2. ich täte mich beeilen, wenn ich du wäre
3. sie tut sich ja Mühe geben
4. wir tun immer sonntags Kaffee trinken
Eine diachrone Untersuchung des Barossadeutschen auf der Basis spontaner Sprach-verwendung in narrativen Interviews zeigt, dass das periphrastische tun in den 1960er/70er Jahren sowohl im Präsens als auch im Präteritum verwendet wurde, während es zwischen 2009 und 2014 fast ausschließlich im Präteritum vorkam. Der erste Datensatz stammt aus dem Monash Corpus of Australian German von Prof. Dr. M. G. Clyne (zugänglich über die Datenbank für gesprochenes Deutsch). Der zweite Datensatz wurde von Prof. Dr. C. M. Riehl aus ihrem Projekt Barossa-Deutsch als Reliktvarietät zur Verfügung gestellt.
Da das Präsens von Natur aus eine imperfektive Lesart produziert, liegt die Vermutung nahe, dass die Kombination ‘Vergangenheit’ + Imperfektivität markiert ist und die tun-Periphrase für diese semantische Nische des Habitual Past verwendet wird (Klemola stellte dies auch für den südwestenglischen Dialekt in Somerset fest). Folgende Beispiele sollen dies veranschaulichen:
5. er tat mir immer Briefe schreiben
6. jeder hier tat Mandeln anbauen
Eine Analyse der situativen Kontexte, in denen die tun-Periphrase verwendet wird, aber auch ein Blick auf das synthetische Präteritum und das Perfekt sollen klären, ob sich die tun-Periphrase im Laufe der ca. 50 Jahren tatsächlich zu einem Habitual Past oder zu einer generellen Präteritumsersatzform entwickelt hat und wie sich die tun-Periphrase in den Entwicklungsverlauf schwindender Varietäten einpasst.
Literatur (in Auswahl)
Bybee, J., R. Perkins & W. Pagliuca (1994). The Evolution of Grammar. Tense, Aspect, and Modality in the Languages of the World. Chicago, London: University of Chicago Press.
Comrie, B. (1976). Aspect. An Introduction to the Study of Verbal Aspect and Related Problems. London, New York, Melbourne: Cambridge University Press.
Klemola, J. (1998). Semantics of do in southwestern dialects of English English. In: Tieken-Boon van Ostade, I., M. van der Wal & A. van Leuvensteijn (eds). Do in English, Dutch and German. History and Present-Day Variation. Münster: Nodus, 25–52.
Riehl, C. M. (2015). Language attrition, language contact and the concept of a relic variety: the case of Barossa German. In: International Journal of the Sociology of Language 236, 261–293.